Posts mit dem Label Familienschicksal werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Familienschicksal werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Mittwoch, 4. November 2015

Wünschenswert im November - Zeitgenössisch und Historisch


Heute zeige ich euch weitere Neuerscheinungen in diesem Monat. Die Genre-Zusammenfassung finde ich bei Romanen, die weder Fantasy noch Science Fiction, noch eindeutige Krimis oder Thriller sind, immer am schwersten. Ich nenne es jetzt "Zeitgenössisch und Historisch" - drin steckt alles von Gegenwartsliteratur bis zum historischen Roman, inklusive Liebesromanen und - wenn auch nicht in diesem Monat - Humorvolles. 
Wie schon gestern gilt auch heute: In meinen neuen Kategorien wird nicht mehr nach Altersempfehlungen unterschieden. "Jugendbuch", "All Age" und "Erwachsenenliteratur" werden bunt gemischt vorgestellt, denn ich finde, was anspricht, ist auch lesenswert, ohne dass sich ein Leser dabei Gedanken um eine fiktive Altergrenze machen muss.

Montag, 14. April 2014

Rezension zu "Heimflug" von Brittani Sonnenberg



Das Schicksal einer Familie ohne Heimat

‟Heimflug“ von Brittani Sonnenberg ist ein Roman, der sich mit dem Schicksal einer Familie befasst.

Chris und Elise sind Amerikaner, doch Chris macht Karriere in einem internationalen Unternehmen und muss daher häufig umziehen. Elise, seine Ehefrau, folgt ihm – erst allein, später mit den beiden Töchtern Leah und Sophie – von London über Deutschland nach Shanghai und Singapur, mit einigen Jahren und Sommern in den USA dazwischen. Die Familie schwangt zwischen Heim- und Fernweh und muss neben ihrer Heimatlosigkeit einen schweren Schicksalsschlag verarbeiten...

Ähnlich abwechslungsreich wie die Wohnorte der Familie ist von Anfang an die Perspektivwahl im Buch. Nicht nur die vier Mitglieder der Familie, sondern zusätzlich auch mal Angehörige erzählen – mehrheitlich chronologisch, aber mit einigen Sprüngen - vom Leben der Kriegsteins über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten. Auch ein Haus, Elises Elternhaus, darf einmal zu Wort kommen und ein anderes. Mal wechselt der Erzählstil plötzlich in einen reinen Dialog. Die unterschiedlichen Sichtweisen machen diesen Roman zu einem sehr vielseitigen Leseerlebnis und sorgen außerdem dafür, dass man jede der Figuren immer wieder neu wahrnimmt, ihre Eigenschaften durch sie selbst, aber auch durch äußere Beurteilung kennenlernt.

Donnerstag, 27. Februar 2014

Rezension zu "Kiss me, kill me" von Lucy Christopher



Emotionaler Psychothriller

„Kiss me, kill me“ ist der neue Roman von Lucy Christopher, einer britische Autorin, die mich zuletzt mit ihrem Debütroman „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“ sehr begeistert hat. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen an ihr neuestes Werk, das sich am ehesten als Psychothriller einordnen lässt.

Inhaltlich geht es um den Tod der hübschen und beliebten Ashlee. Eines Nachts trägt Emilys Vater Jon die tote Mitschülerin ins Haus. Doch der ehemalige Soldat ist durch seinen Kriegseinsatz psychisch sehr belastet und leidet unter starken Flashbacks. Er kann sich nicht erinnern, was im Wald, wo er sich oft in einem alten, versteckten Bunker aufhält, passiert ist. Emily ist von seiner Unschuld überzeugt, doch da es keine anderen Beweise gibt, wird ihr Vater wegen Totschlags angeklagt.
Damon war Ashlees Freund. Er ist von Jon Shepherds Schuld überzeugt, doch er hat keine Erinnerung mehr an die Nacht, in der Ashlee starb und die Zweifel beginnen an ihm zu nagen…


„Kiss me, kill me“ hat viele Elemente eines Psychothrillers, konzentriert sich aber vor allem auf das Innenleben der beiden Ich-Erzähler Emily und Damon. Ihre persönliche Verwicklung, ihre emotionale Beteiligung an dem Todesfall, der Vater und Freundin aus ihren Leben gerissen hat – einer im Gefängnis, die andere tot; ihre Zweifel, die Unterschiede zwischen der Realität und den Erinnerungen.

Montag, 6. Januar 2014

Rezension zu "Es wird keine Helden geben" von Anna Seidl



Hat mich nicht immer berührt...

„Es wird keine Helden geben“ von Anna Seidl ist ein Jugendbuch, das sich mit der Trauerbewältigung nach einem denkbar schockierenden Ereignis auseinandersetzt: Einem Amoklauf.

Darum geht es: Miriam ist 15, als an einem normalen Schultag plötzlich die Hölle losbricht. Der Amoklauf eines Mitschülers verändert von einem Moment zum nächsten ihr Leben. Sie versteckt sich und überlebt, doch Tobi, ihre erste große Liebe, hat weniger Glück. Miriams unbeschwertes Leben endet und sie muss sich mit der Trauer, aber auch mit der Frage nach der Schuld auseinandersetzen, denn sie kannte den Amokläufer… 

Ich bin wirklich zwiegespalten bei „Es wird keine Helden geben“. Es ist ein Buch über ein wirklich schockierendes Thema, es behandelt ein schwieriges Schicksal. Trauer, Leid und Schuld, viele zerstörte Leben, eine unfassbare Tragödie, die weltweit leider schon zu oft Realität wurde. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es schwieriger ist, sich selbst zu erlauben, auch einem Buch mit einer solchen Thematik kritisch gegenüber zu stehen. Viele loben dieses Buch und auch mich hat es gelegentlich berührt – trotzdem wäre es nicht fair den vielen anderen Bücher gegenüber, wenn ich hier über Kritikpunkte hinweg sehen würde, die ich ohne diesen alles überschattenden Schwerpunkt „Amoklauf“ anbringen würde.

Miriam, die Ich-Erzählerin, konnte ich oft verstehen. Ihren Trotz, ihren Schmerz, ihre Leere, ihre Wut, ihre Schuld – das alles sind Abschnitte eines Trauerprozesses, den ich nach einem solchen Schicksalsschlag nachvollziehen kann. Ich habe mich gut in sie hineinversetzen können, selbst dann, wenn es schwer war, wenn sie ungerecht, unausstehlich und vorwurfsvoll war – das alles passt meiner Meinung nach in das Bild der Traumatisierten. Die Entwicklung durch diese Phasen habe ich teilweise allerdings leider vermisst. Vielleicht liegt es auch daran, dass das Buch mit 250 Seiten alles andere als umfangreich ist, doch mir war es häufig zu sprunghaft. Nicht, dass ich der Protagonistin nicht jede Sprunghaftigkeit zugestehen würde. Der Autorin und der Erzählweise kann ich dies nur nicht zugestehen. Ich möchte als Leser das Gefühl haben, Miriam bei ihrem Prozess begleitet zu haben.

Doch dann waren Miriams Gefühle plötzlich wieder fort oder ganz anders und das hat mich als Leserin regelrecht aus der Figur heraus katapultiert, da ich den Eindruck hatte, eine Entwicklung zu verpassen. Vieles schien mir doch zu oberflächlich, ich möchte fast sagen, auch recht plakativ. Das Einfühlsame, das Leise, Nachdenkliche hat mir gefehlt. Miriams Familie zum Beispiel schien deutlich fürsorglicher, als sie sie in ihrem Trotz beschrieb – trotzdem ließ sie eine 15-Jährige in den grenzwertigsten Momenten vollkommen allein, erlaubte ihr nicht nur die Trauer, was ich verstanden hätte, sondern auch einen Hang zur Selbstzerstörung, wo ich mir schon früher eine Intervention gewünscht hätte.

Ein großes Thema ist auch die Beziehung zwischen Miriam und ihrer Mutter – eigentlich die einzige, die näher beleuchtet wird, dabei hätte ich mir das bei einigen anderen auch gewünscht. Aber tiefgehend war auch das leider nicht. Ich bin auch keine moralische Instanz oder lebe hinter dem Mond – Jugendliche trinken gelegentlich Alkohol, obwohl sie keinen dürfen. Aber wenn die Aufarbeitung einer schwierigen Beziehung aus zwei Flaschen Wein und Frauenfilmen besteht, finde ich das nicht nur ein wenig bedenklich, es bleibt mir auch zu sehr an der Oberfläche. Andere Beziehungen erfahren überhaupt keine weitere Entwicklung. Stattdessen tauchte am Ende noch eine Figur auf, deren Rolle mir zu offensichtlich war, die mir zu glatt und „nett“ war. Gerade mit dem Schluss habe ich daher große Schwierigkeiten.

Genug der Kritik, „Es wird keine Helden geben“ lässt sich an vielen Stellen auch gut lesen, es berührte mich auch, wenn ich mich nicht gerade zu sehr über einige Entwicklungen gewundert habe. Gut gelungen fand ich auch die psychotherapeutische Begleitung – als die dann vorhanden war. Eine Hilfe zur akuten Traumabewältigung habe ich am Anfang vermisst.
Auch sprachlich konnte der Roman überzeugen, vor allem, wenn man berücksichtigt, dass die Autorin dieses Buch selbst in sehr jungen Jahren geschrieben hat. Dafür scheint mir das Buch sehr realistisch und es lässt vielleicht über den einen oder anderen Sprung in der Handlung hinwegsehen. Die eingebauten Rückblicke bildeten den Kontrast zwischen Miriams altem Leben und ihrem neuen gut ab – eine interessante Lösung.

Fazit: Ein gutes Jugendbuch zum Thema Amoklauf, das aber aufgrund einer gewissen Sprunghaftigkeit der Hauptfigur nicht immer berühren konnte. Manchmal zu oberflächlich, am Ende ein wenig zu offensichtlich. Nicht schlecht, aber auch nicht überwältigend. Ich vergebe gute 3 Sterne.


Allgemeine Informationen

Ausgabe: Gebunden
Erschienen: Januar 2014
Seiten: 256
Verlag: Oetinger
ISBN: 978-3789147463
Altersempfehlung: ab 14 Jahren
Preis: € [D] 14.95

Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage zum Buch
 

Sonntag, 8. September 2013

Rezension zu "Die Unvollendete" von Kate Atkinson



 Das perfekte Leben?

"Die Unvollendete" von Kate Atkinson ist ein Roman mit einer interessanten Idee: Was wäre, wenn man sein Leben immer wieder leben könnte? Wenn man jede Entscheidung im nächsten Versuch zurücknehmen könnte, wenn man jedes Mal eine Kleinigkeit verändern könnte? Wäre das Leben irgendwann perfekt?

11. Februar 1910. Ursula Todd wird als drittes Kind einer wohlhabenden englischen Familie geboren. Vor ihr liegen jedoch nicht nur eine behütete Kindheit und unendlich viele Möglichkeiten, sondern auch zwei Weltkriege. Welchen Weg soll sie einschlagen? Studieren oder nicht? Heiraten oder nicht? Für Ursula ist keine Entscheidung endgültig, denn sie wird ihr Leben immer wieder von vorn beginnen und die Fehler korrigieren. Doch wie viel kann sie überhaupt beeinflussen? Kann sie glücklich werden und ihre Familie vor jedem Leid bewahren?


"Die Unvollendete" heißt im englischen Original "Life after Life". Beide Titel beschreiben auf verschiedene Weise wunderbar, worum es hier geht: Ursula Todd lebt ein Leben nach dem anderen. Doch es ist nicht der klassische Gedanke der Wiedergeburt, der hier greift, denn Ursula kehrt nicht in neuer Gestalt in einer zukünftigen Zeit zurück, sondern wiederholt ihr eigenes Leben wieder und wieder. Immer geboren in einer verschneiten Februarnacht 1910 in England, als Tochter von Sylvie und ihrem Mann Hugh, mit zwei älteren Geschwistern. Mit jeder Rückkehr bekommt sie eine neue Chance andere Entscheidungen zu treffen und Fehler zu beheben, zunächst eher intuitiv, doch mit jedem Leben wächst die Wahrnehmung für ihre Gabe. Sie verändert ihr Leben mit jeder Wiedergeburt, ist sozusagen "unvollendet", ständig versucht, ihr Leben zu perfektionieren. Manchmal brauchen schon kleine Veränderungen mehrere Versuche - manchmal erfordern sie rabiate Maßnahmen - und manchmal verändert eine einzige Entscheidung das gesamte Leben. Wie weit Ursula diese Perfektionierung treiben kann, ist eine der großen Fragen, welche die Autorin dem Leser durch ihre Geschichte stellt. Ist ein perfektes Leben für Ursula möglich?

"Es wurde dunkel" ist wahrscheinlich der häufigste Satz im ganzen Roman. In der Regel leitet er einen Sprung in die Vergangenheit ein - ein weiteres Leben für Ursula. Was wird sie dieses Mal anders machen, was hat sie schon anders gemacht? Nicht immer begleitet der Leser Ursula von Geburt an, manchmal muss er große Veränderungen nach großen Zeitsprüngen hinnehmen. "Die Unvollendete" ist dadurch kein Buch für ein kurzes, oberflächliches Lesevergnügen. Der Leser braucht seine gesamte Aufmerksamkeit, um Ursulas Entwicklung nicht aus den Augen zu verlieren. Gerade im späteren Mittelteil wird das schwierig. Ursulas Erwachsenenleben wird durch Kleinigkeiten von einem Leben zum Nächsten oft völlig auf den Kopf gestellt. Mal wünscht man ihr das Glück in einem Leben, dann ist man schockiert von den Tragödien und wünscht sich das nächste herbei. Ursulas Leben begleiten die Weltkriege. Den ersten erlebt sie noch recht behütet im Kindesalter, der zweite involviert sie bis zum Äußersten und prägt ihre Leben durch viel Leid, Tod und Traurigkeit.

Nicht immer ist es einfach, sich auf jedes neue Leben einzulassen, die großen Veränderungen lassen die Zahl der Nebenfiguren auch mit der Zeit ein wenig unübersichtlich werden und durch eine gewisse Detailverliebtheit der Autorin bleibt der Roman leider auch nicht ohne Längen. Allerdings lohnt es sich, konzentriert bei der Sache zu bleiben, denn der Facettenreichtum eines einzelnen Lebens, wie ihn sich die Autorin für Ursula erdacht hat, ist spannend und beeindruckend. Und ebenso beeindruckend ist es, wie sich am Ende die Erfahrungen verschiedener Leben verbinden und einen runden Abschluss bilden, der tief berührt. Die große Stärke des Romans ist es tatsächlich um eine einzelne Figur schier unendliche Möglichkeiten zu entwickeln und immer wieder aufs Neue die Frage zu beantworten, wo es Ursula hingeführt hätte, wenn sie einmal eine andere Abzweigung genommen hätte. Was sind ihre Konstanten, was kann sie beeinflussen, wohin führt ihr Charakter sie immer wieder zurück?

Sprachlich ist "Die Unvollendete" durchaus anspruchsvoll, aber wunderbar zu lesen. Es vermittelt einen authentischen Eindruck der Handlungszeit und lebt nicht zuletzt auch von der starken Protagonistin, deren Persönlichkeit sich immer neu entfaltet und daran wächst. Die Autorin hat ein Händchen für die Details, aber auch für den mal subtilen, mal etwas schwarzen Humor. Dennoch war es das ein oder andere Mal ermüdend, Wiederholungen in Ursulas Leben zu lesen oder ihr neuestes Leid mit zu verfolgen. Dennoch ist vor allem das Ende unglaublich stark und entschädigt für jedes Durchhaltevermögen.

Fazit: Der Roman „Die Unvollendete“ setzt die Frage nach dem „Was wäre, wenn?“ großartig um, indem er seine Protagonistin ihr Leben immer wiederholen und korrigieren lässt. Die Autorin präsentiert eine unerwartete Vielfalt an Möglichkeiten für das Leben von Ursula Todd. Einige Längen im Mittelteil wurden nicht vermieden, doch ein ausdrucksstarkes Ende entschädigt. Sehr gute 4 Sterne für diesen Roman mit Tiefgang.




Allgemeine Informationen

Ausgabe: Gebunden, Sept. 2013
Seiten: 592
Verlag: Droemer
Originaltitel: Life after Life
ISBN: 978-3426199817
Preis: € [D] 19.99

Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage



Dienstag, 11. Juni 2013

Rezension zu "Die Schwere des Lichts" von Patti Callahan Henry



Bedeutung vs. Natürlichkeit

„Die Schwere des Lichts“ von Patti Callahan Henry ist ein Roman über die Selbstfindung einer Frau.

Inhalt: Ellie ist mit ihren fast 48 Jahren unglücklich in ihrer Ehe, als überraschend auch noch ihre Mutter verstirbt. Auf der Trauerfeier begegnet Ellie ihrer Jugendliebe Hutch, der sie um Hilfe bittet. Für eine Ausstellung benötigt er Informationen über Ellies Mutter. Insbesondere über einen Sommer, als Ellie noch gar nicht geboren war und ihre Mutter Teil der Bürgerrechtsbewegungen Anfang der 60er Jahre gewesen sein soll. Davon weiß Ellie allerdings nichts. Doch dann findet sie das Tagebuch ihrer Mutter, in dem sie auch über eine geheime Liebe zu jener Zeit schreibt. Ellie beschließt eine Auszeit zu nehmen und die Geheimnisse ihrer Mutter zu entschlüsseln. Ist die Zusammenarbeit mit Hutch vielleicht auch für ihre Liebe eine neue Chance?

An sich geht es in „Die Schwere des Lichts“ tatsächlich um die Selbstfindung von Ellie, die mit ihrem bisherigen Leben unzufrieden ist. Die Autorin versucht allerdings, sie ihre Erkenntnisse nicht allein und auf sich bezogen gewinnen zu lassen, sondern sich zunächst am Leben ihrer Mutter entlang zu hangeln, die wie Ellie in jungen Jahren ihre große Liebe aufgegeben hatte. Warum? Aufgrund von äußerem Druck? Wer war die große Liebe ihrer Mutter? Was geschah zwischen Ellie und Hutch und ließ ihre eigene Liebe scheitern?
Neben diesen eher persönlich-alltäglichen Fragen, die für mich den interessanten Kern der Geschichte ausmachten, versucht die Autorin dem Buch allerdings auch beinahe zwanghaft etwas mehr weitreichende Tiefe zu geben, was in meinen Augen nicht gelang. Es ist kaum nachzuvollziehen, warum sich die Hauptprotagonistin so sehr in zwei, drei Jahre im frühen Leben ihrer Mutter verbeißt. Stattdessen schien es, als wolle die Autorin unbedingt, falls nötig mit Gewalt, etwas in die Geschichte verpflanzen, das sie zu mehr machen soll, als nur der Bericht einer Midlife Crisis, egal ob Politik oder philosophische Weisheiten.

Und so schaufelt sich die Autorin immer mehr „Schwere“ in ihr Buch. Bedeutungsschwangere Dialoge, denen die Natürlichkeit so sehr fehlt, dass der Leser die Situationen kaum nachvollziehen kann, Vergangenheiten voller Leid, aber auch großer politischer Tragweite– doch Tiefe will sich trotz allem nicht einstellen. Der Inhalt ist nicht nur vorhersehbar, er wirkt auch leer. Fade Charaktere, unsympathische Stereotypen, die langweiliger kaum sein könnten. Ellie, die arme Wahrheitssuchende, hat es an sich nicht einmal schwer beim Leser. Denn ihr Ehemann ist derart unerträglich, seine Launen für den Leser abstoßend und nicht tolerierbar – wer könnte es ihr verdenken, dass sie ihr Leben an der Seite dieses Mannes nicht mehr auszuhalten scheint, dass eine Wiederbegegnung mit ihrem Ex-Freund aus jungen Jahren alte Begehrlichkeiten in ihr weckt?

Der Ehemann, mit Namen Rusty, war tatsächlich eine der Figuren, die mir das Buch am meisten verhagelt haben. Nicht, weil er einfach unsympathisch war, sondern, weil er so stereotyp-unsympathisch, so eine mit vorhersehbarer Unberechenbarkeit gesegnete Mischung aus Macho-Choleriker und Weichei war, dass ich von der Klischeehaftigkeit oft erschüttert war. Den wollte man nicht nur um Ellies Willen nicht mögen, den konnte man nicht mögen. Das allerdings sorgte nicht nur dafür, dass man Ellies Wunsch nach einem Ausbruch aus dieser Ehe nachvollziehen konnte, sondern gleichzeitig auch für mein Unverständnis: Warum hat sie sich darauf überhaupt eingelassen? Die Antwort auf diese Frage erhält der Leser allerdings. Ellies Liebesleben und auch das ihrer Mutter wurde nicht etwa, wie uns das Buch vielleicht weismachen will, Opfer äußerer Umstände, sondern viel persönliche Schwäche und noch mehr Dummheit spielten eine Rolle – teilweise würde ich ihnen sogar berechnende Kälte vorwerfen. So wurde auch die Hauptfigur mir immer unsympathischer…

Ansonsten war Ellie ein nur schwer zugänglicher Charakter. Mit ihren 48 Jahren ist sie langweilig. Das Standard-Hausfrauchen (Schrägstrich: Hobby-Künstlerin) aus gutem Hause. Mann im Golfclub, Tochter auf dem College. Sie weiß nicht, wer sie ist; sie weiß nicht, was sie will – eine Vorzeige-Midlife-Crisis, die sie allerdings auf eine sehr stille, in sich gekehrte Art auslebt. Dieser zum Einschläfernden neigenden Unentschlossenen bei ihrem Selbstfindungsprozess zu folgen, war nicht wirklich aufregend. Der Ich-Erzählerin fehlte es in meinen Augen einfach an persönlicher Stärke. Sie war so passiv, selbst, wenn sie entschlossen auftrat, wirkte sie oft nur wie eine Zuschauerin, die sich von der gegebenen Situation mitziehen ließ. Manchmal ein bisschen trotzig, aber selten nachvollziehbar und wie vieles an dem Buch eher unnatürlich.

Was das Buch für mich ein wenig gerettet hat, waren Stil und Aufbau des Romans. Ellies Bericht wird unterbrochen von den Tagebucheinträgen der Mutter, die doch, wenn sie auch ähnliche Fehler machte wie die Tochter, insgesamt der interessantere Charakter war, der aktivere, der sein Leben stärker selbst in die Hand nahm und sich nicht so sehr fremdbestimmen ließ, wie es sich bei Ellie präsentierte. Der Schreibstil ist außerdem hervorragend, bildhafte Beschreibungen, Nachdenklichkeit mit Tiefe – jedenfalls dann, wenn die Autorin nicht dicker aufträgt als nötig. Ein schönes Haus am See kann doch einfach auch nur ein schönes Haus am See sein – es muss kein Haus sein, in das, der Legende nach, die Menschen dann kommen, wenn sie die Wahrheit finden wollen, nur weil das auf Ellie gerade so gut passt. Da wurde es manchmal unnötig theatralisch und es entstanden derart schwere Dialoge, an denen nichts natürliches mehr war. So entfernten sich die Charaktere oft wieder von mir als Leser, indem ihnen durch die Spur „zu viel“ das Reale geraubt wurde.

Fazit: Eine vorhersehbare Selbstfindung, die leider oft zu dick aufträgt und selten natürlich wirkt. Die Charaktere waren stereotyp, ihr Verhalten oft nicht nachvollziehbar. Durch den guten Stil und eine interessante, wenn auch etwas gezwungen wirkende, Hintergrundgeschichte ist „Die Schwere des Lichts“ durchaus gut lesbar. Ob man es allerdings lesen muss? Meiner Meinung nach nicht. Von mir gibt es gerade einmal knappe 3 Sterne.

Allgemeine Informationen

Ausgabe: Taschenbuch, April 2013
Seiten: 313
englischer Originaltitel: Coming Up for Air
ISBN: 978-3-7466-2955-1
Preis: € [D] 9.99

Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage

Sonntag, 9. Juni 2013

Rezension zu "Perla" von Carolina de Robertis



„Perla“ von Carolina de Robertis ist ein in Argentinien angesiedelter Roman, der die Identitätssuche einer jungen Frau in Buenos Aires mit der politischen Geschichte des Landes in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts verbindet.
 
Inhalt: Perla wächst als einzige Tochter eines Marineoffiziers und seiner Frau in Buenos Aires auf. Obwohl Perla schon in jungen Jahren ahnt, dass ihr Vater während der Militärdiktatur schlimmes getan hat, möglicherweise sogar mitverantwortlich an dem Verschwinden tausender Menschen war, liebt sie ihre Eltern. Sie hat gelernt, über die Geschichte ihrer Familie in dem mittlerweile zur Demokratie zurückgekehrten Land zu schweigen. Erst im Studentenalter, als ihre Eltern verreist sind, bringt ein unbekannter Mann, der plötzlich mitten in ihrem Wohnzimmer auftaucht, nackt und nass, als wäre er gerade dem Wasser entstiegen, sie dazu, sich mit der Vergangenheit ihrer Familie zu beschäftigen, auch wenn das heißt, dass sie ihre eigene Identität hinterfragen muss.

Am Anfang war ich noch fasziniert von „Perla“. Der Mann in ihrem Wohnzimmer ist schwer zu verstehen. Wer ist er, woher kommt er? Ist er real oder ein Produkt Perlas Phantasie? Lebendig oder ein zurückgekehrter Toter? Er selbst kann diese Fragen kaum beantworten, seine Erinnerungen fügen sich erst nach und nach wieder zusammen, in einem Prozess, den die Autorin mit vielen philosophischen Schleifen ausschmückt. Diese Monologe, die die Geschichte des Mannes erzählen, waren oft langwierig, schöne Worte, denen aber leider immer häufiger die Aussage fehlte. Doch sie waren nicht das erste Langwierige in diesem Roman. Auch Perla selbst, die als Ich-Erzählerin auftritt, führt solche Monologe. Lange, lange Abschnitte an Gedankengängen, die nur selten zum Kern vordringen und diesen auch klar formulieren.

Während der Hang der Autorin zum Vagen beim rätselhaften Fremden, der nass und verwirrt auf dem Wohnzimmerteppich liegt, noch einen gewissen stilistischen Sinn ergibt, wollte er mir bei Perla, einer jungen Studentin, die in Unterhaltungen mit anderen immer wieder unter Beweis stellt, dass sie sehr wohl zu klaren Gedankengängen in der Lage ist, einfach nicht natürlich erscheinen. Die Dialoge, die klaren Momente, darin habe ich die eigentlich Stärke des Romans empfunden, die vagen Passagen dazwischen wirkten dagegen ein wenig gezwungen: Ein Stil, der keinen anderen Zweck verfolgte, als den Leser mit schönen, aber schwammigen Worten, noch ein wenig davon abzuhalten, die ganze Geschichte zu verstehen und die weitere Entwicklung vorausahnen zu können. Und daran scheitert sie.

Denn, während ich mich zunächst mühsam von Seite zu Seite quälte, versuchte aus Perlas Gedanken die politische Vergangenheit, die Rolle ihrer Eltern und die Verbindung zu den Verschwundenen herauszufiltern und mich eigentlich nur für den geheimnisvollen Mann, nicht aber für den Umgang der Ich-Erzählerin mit ihm, begeistern konnte, wurde es spätestens nach der Hälfte des Buches einfach sehr offensichtlich. Perlas Identitätssuche scheint für den Leser bereits beendet, bevor sie selbst sie begonnen hat.

Perla selbst braucht noch eine Weile, scheint ohnehin eher eine passive Rolle in ihrem eigenen Leben eingenommen zu haben. Wäre sie ein stärkerer Charakter, vielleicht hätte die Geschichte überzeugen können. Doch das ist sie nicht. Unsicherheit, die durch die Vergangenheit ihres Vaters noch verständlich ist, begleitet sie, doch was nicht mehr zu verstehen war, war ihr Umgang mit dem Fremden. Ist er real oder entspringt er ihrer Phantasie? Sollte sie das nicht verwirren, zutiefst berühren? In gewisser Weise ist das sogar der Fall und dennoch hatte ich den Eindruck, als wäre Perla zu oft die unbeteiligte Beobachterin, ein leerer Charakter, der Konfrontationen und Entscheidungen scheut, Gedanken nicht ausspricht und zum Davonlaufen neigt. Sie lässt sich von dem Mann zur Wahrheit führen, nach der sie selbst sich nicht einmal zu suchen getraut hat. Doch ihr Charakter entwickelt sich kaum.
 
Vielleicht hatte er dazu aber auch nie die Möglichkeit, denn der Roman war mir am Ende einfach zu glatt, zu vorhersehbar. Eigentlich war es sogar so vorhersehbar, dass eine kleine Stimme in meinem Kopf sich doch immer wieder geweigert hat, den glatten Ausgang zu akzeptieren und stattdessen unerschütterlich an eine Wendung geglaubt hat, die Perlas Identitätssuche, bei der mir so vieles nach unterbewusstem Wunsch und Phantasievorstellung klang, nicht zuletzt auch durch den Fremden, der so wenig real schien, noch einmal auf den Kopf stellen würde. Die sie dazu zwingen würde, doch noch einmal die Konfrontation mit ihren Eltern zu suchen, da Perla ihre Liebe für sie und ihre Vergangenheit als Teil der Militärdiktatur moralisch nicht ein Einklang bringen kann. 
Stattdessen ist eine andere Identität, die sie von der Tochter des Täters zum Opfer macht und von der ihr ein lebender Toter auf dem Teppichboden ihres Wohnzimmers erzählt, die Lösung? Da ich niemanden um die Erfahrung bringen möchte, die Geschichte selbst zu erlesen, kann ich es deutlicher nicht ausdrücken, doch das Ende war für meinen Geschmack schwach und zu reibungslos.

Die real-politischen Hintergründe des Romans, die Geschichte Argentiniens, die Geschichte der Verschwundenen, sind einer der lesenswerten Bestandteile von „Perla“. Teilweise sind die eingearbeiteten Verweise und die erdachten Einzelschicksale schwer zu verdauen, auch Perlas Geschichte ist nicht leicht zu verarbeiten, auch wenn sie mir am Ende für sie persönlich zu einfach erschien. Nicht „einfach“ im Sinne von „leicht“, es ist kein leichtes Schicksal, sondern „einfach“ im Sinne von „konfliktarm“, da es Perla eine Möglichkeit bot, einer Identität, die sie innerlich zerriss, zu entkommen. Es konnte zwar berühren, aber es war dennoch zu vorhersehbar und zu wendungsarm.

Fazit: Schöner Schreibstil, schöne Worte, aber leider oft verpackt in zu langwierige Gedankengänge. Der Protagonistin Perla selbst fehlt die Entwicklung, dem Ende fehlt der Konflikt. Es ist mehr Märchen als Realität, wodurch die Identitätssuche vor dem Hintergrund einer politischen Ausnahmesituation ihre Tiefe einbüßt.

Eine Empfehlung: Wer an einer gelungeneren Geschichte über die Suche nach der eigenen Identität interessiert ist, dem möchte ich das ebenfalls in diesem Frühjahr erschienene „Hier könnte ich zur Welt kommen“ von Marjorie Celona empfehlen (meine Rezension). Hier fehlt zwar der große politische Hintergrund von „Perla“, die persönliche Entwicklung ist aber deutlich stärker. 



 
Allgemeine Informationen


Ausgabe: Gebunden, März 2013
Seiten: 336
englischer Originaltitel: Perla
ISBN: 978-3810508539
Preis: € [D] 18.99

Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage

 
 

Sonntag, 14. April 2013

Rezension zu "Hier könnte ich zur Welt kommen" von Marjorie Celona



Identitätssuche

‟Hier könnte ich zur Welt kommen“ ist der Debütroman von Marjorie Celona und ein gelungenes Werk über die Suche nach der eigenen Identität.

Inhalt: Kurz nach ihrer Geburt wird Shannon in ein graues Sweatshirt gewickelt in den frühen Morgenstunden ausgesetzt. Nach Stationen in verschiedenen Pflegefamilien, mit guten und mit schlechten Erinnerungen, findet sie bei Miranda und ihrer Tochter Lydia-Rose ein Zuhause. Obwohl sich alle größte Mühe geben, fühlt Shannon sich oft ausgeschlossen und sehnt sich nach Antworten. Von wem hat sie ihr Aussehen? Wo kommt sie her? Warum wurde sie ausgesetzt? Als Teenager macht Shannon sich endgültig auf die Suche nach ihrer Identität...

‟Mein Leben beginnt am Y.“, mit diesem Satz leitet Shannon ihre Geschichte ein, die dieser bewegende Debütroman sehr eindringlich erzählt. Im Deutschen unter dem fast poetischen Titel ‟Hier könnte ich zur Welt kommen“ erschienen, heißt er im kanadischen Original schlicht ‟Y“. Es ist das erste, von dem Shannon zu berichten hat, das ‟Y“ des YMCAs vor dessen Türen sie in den frühen Morgenstunden von ihrer Mutter Yula ausgesetzt wird, und zieht sich außerdem als Frage, ‟warum?“ (‟why?“), durch den gesamten Roman. Auf der Suche nach der Erklärungen beschäftigt sich dieser Roman mit den essentiellen Fragen nach der eigenen Herkunft und Identität. Welche Bedeutung haben sie?

Obwohl Shannon sich nach einigen anderen Pflegestationen letztendlich bei Miranda und ihrer Tochter in guten Händen befindet, die ihr ein fürsorgliches Heim bieten, treiben das Mädchen immer die Fragen nach ihrer Abstammung um, und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich auf die Suche macht.

Der Roman lebt dabei zum Einen von den starken Charakteren und ihren oft nur subtil vermittelten Schicksalen. Hinter der Fassade schlummert bei fast jedem eine Geschichte, die nach und nach erzählt werden möchte – manchmal zeigen sich Abgründe, auch in Shannons Leben, die man so nicht vermutet hätte und die trotz, oder gerade wegen, der sprachlichen Distanziertheit des Romans sehr nahe gehen.

Erzählt wird die Geschichte zwar durchgehend von Shannon in der Ich-Perspektive, aber es scheint oft, als wäre sie gar nicht direkt involviert, sondern würde über der gesamten Handlung schweben. So berichtet die Erzählerin Shannon beispielsweise auch recht ruhig, fast abgeklärt, von ihrer eigenen Kindheit, beginnend mit dem Moment ihrer Aussetzung, den ersten Pflegefamilien, an die sich die Protagonistin Shannon gar nicht erinnert, und sogar die Vorgeschichte ihres Lebens, die Geschichte ihrer Mutter Yula und ihres Vaters Harrison, erzählt Shannon aus der Ich-Perspektive, als wäre sie dabei gewesen. So erfährt der Leser bereits parallel zu Shannons Aufwachsen, was zu ihrer Aussetzung geführt hat. Die Geschichte ihrer jungen Mutter geht besonders am Ende unter die Haut.

Diese ungewöhnliche Perspektive wird abgerundet durch einen sehr auf kleine, liebevolle Details fokussierten Stil. ‟Hier könnte ich zur Welt kommen“ ist kein Roman der großen Gesten, stattdessen entsteht die eindringliche Atmosphäre durch diese kleinen Beobachtungen am Rande. Der Geruch der Pflegemutter oder der Eiswürfel, den sie in die Suppe tut, um sie für ihre Kinder abzukühlen. Das Buch wirkt dadurch oft ruhig, ist aber umso berührender und besticht mit seinem einfühlsamen Schreibstil.

Fazit: Ein wunderschöner Roman über die Suche nach der eigenen Identität, der durch eine ungewöhnliche Perspektive, einen schönen Schreibstil und eine eindringliche Atmosphäre tief berührt. 5 Sterne. 





Allgemeine Informationen

Ausgabe: Gebunden ( März 2013)
Seiten: 416
Verlag: Insel Verlag
englischer Originaltitel: Y
ISBN: 978-3458175629
Preis: € [D] 19.95

Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage


Donnerstag, 24. Januar 2013

Rezension zu "Bittere Wunder" von Christina Meldrum


Die Verdrängung eines Familienschicksals

"Bittere Wunder" von Christina Meldrum ist ein Jugendroman, von dem ich eigentlich einen anderen Inhalt erwartet hatte. Dennoch hat mich die Mischung aus Religion, Pflanzenkunde, Mythologie und menschlichen Abgründen nach kurzen Startschwierigkeiten überzeugen können.

Inhalt: Die 15-Jährige Aslaug lebt allein mit ihrer Mutter in einem entlegenen Haus, wo sich die beiden Frauen hauptsächlich mit dem versorgen, was sie in der Natur finden können. Als Aslaugs Mutter stirbt, muss Aslaug ihre isolierte Welt verlassen und zieht zu ihrer Tante und deren beiden Kindern, die sie bisher nicht kannte. Dort lernt Aslaug ein streng religiöses Leben kennen und muss sich mit ihrer eigenen Herkunft auseinandersetzen. Unerwartete Ereignisse machen das Leben dort jedoch schwer für Aslaug und vier Jahre später ist sie wegen Mordes angeklagt...

"Bittere Wunder" ist ein Roman, der in der realen Welt, in den USA zwischen den Jahren 2003 und 2007, spielt, sich aber mit einem, eigentlich sogar mit zwei sehr extremen Lebensmodellen befasst, die auf mich so fremd wirkten, wie ein Fantasyroman, und dadurch eine große Faszination auf mich ausübten. Zum Einen ist da das Leben von Aslaug und ihrer Mutter, am Rande der modernen Zivilisation in einer fast autarken, eigenen kleinen Welt. Aslaug wird von ihrer Mutter zu Hause unterrichtet, lernt alte Sprache und alles über die verschiedenen Pflanzen in ihrer Umgebung. Später wechselt sie in die zweite Fast-Parallelwelt, eine streng religiöse, beinahe fanatische Gemeinschaft, die ihre Tante als Pastorin anführt. Auf beiden Stationen in Aslaugs Leben gibt es Abgründe, die kaum vorstellbar sind und mich beim Lesen teilweise sehr mitgenommen haben.

Durchsetzt ist der Roman neben den Kapiteln, in denen Aslaugs Geschichte mit ihr als Ich-Erzählerin wiedergegeben wird, von schlichten Kapiteln in reiner Dialogform von den Vernehmungen der Zeugen während Aslaugs Gerichtsverhandlung 2007. Der radikale Wechsel von Erzählstil und Perspektive ist gut gelungen, verleit der Geschichte  insbesondere durch die Gerichtsverhandlung ein gewisses Tempo und erhöht die ansonsten eher weniger vorhandene Spannung, indem der Leser zunächst rätseln muss, worin Aslaugs Vergehen überhaupt besteht. Wer ist gestorben? Wen soll Aslaug ermordet haben, vier Jahre nach dem Tod ihrer Mutter? Hier überschlagen sich vor allem am Ende des Romans noch die Ereignisse, was mir dann, während ich zu Beginn doch erhebliche Startschwierigkeiten hatte, sehr gut gefallen hat, denn die Geschichte ist tiefgehender als zunächst vermutet.

Meine Startschwierigkeiten mit "Bittere Wunder" lagen sicherlich zunächst an der Ich-Erzählerin Aslaug. Nach rationalen Gesichtspunkten lassen sich die Gedanken und Taten des Mädchens oft nicht erklären, was aber im Zusammenhang mit Aslaugs isoliertem Leben mit einer kranken Mutter und deren ausgeprägten Gemütsschwankungen mit der Zeit tatsächlich einen sehr stimmigen Charakter ergab. Insbesondere ihre symbolträchtige Auslegung vieler Situationen mit Verbindungen zur Natur und den Eigenschaften von Pflanzen war manchmal ein wenig trocken, gefiel mir allerdings mit der Zeit als wiederkehrendes Merkmal immer besser. Später werden diese gedanklichen Ausflüge in die Pflanzenwelt noch ergänzt durch oft sehr, manchmal zu ausladenden Diskussionen über Religion und Mythologie, die ich persönlich zwar interessant fand, aber für ein Jugendbuch doch recht langatmig.

Die Altersempfehlung des Verlags, der das Buch für eine Zielgruppe ab 12 Jahren angesetzt hat, kann ich daher nur bedingt unterstützen. Weder im Schreibstil noch in der Geschichte selbst habe ich diese Altersgruppe erkennen können, denn beides ist insgesamt doch recht anspruchsvoll, zumal sich hinter der sehr symbolhaften Ausdrucksweise und der religiösen Interpretation eine sehr handfeste, dunkle Familiengeschichte verbirgt, mit einer von den Protagonisten größtenteils verdrängten Realität, die meistens nur nebenbei ans Licht kommt. Bei sehr jungen Lesern hätte ich mir hier vielleicht eine direktere Auseinandersetzung mit der Thematik gewünscht, da die Wirklichkeit, mit der Aslaug als Ich-Erzählerin ohnehin schon Probleme hat, sonst untergehen könnte. Als Erwachsene vermutet man bei Lesen natürlich schon so einiges, sodass auch aus Andeutungen heraus verstanden werden kann, was sich in dieser Familie tatsächlich ereignete. Ich weiß jedoch nicht, ob auch 12jährige schon eine solche Sensibilität für die Thematik haben und würde das Buch daher eher für über 14jährige empfehlen.

Der Schreibstil ist wie gesagt ohnehin eher anspruchsvoll, ebenso wie der Inhalt insbesondere durch die Verbindung von Mythologie, Natur, Religion und Wirklichkeit mit sehr vielen bildhaften Vergleichen nicht immer leicht nachzuvollziehen ist. Oft haben diese Vergleiche und Diskussionen, die sich wohl vor allem auch aus dem persönlichen Leben der Autorin erklären lassen, ein wenig den Fokus von der sehr mitreißenden Hintergrundgeschichte genommen, was mir für die Emotionalität wiederum nicht ganz so gut gefiel. Allerdings punktet hier besonders das Ende, das sicherlich auch einige Fragen offen lässt - so etwa, ob Aslaug den Teufelskreis ihrer Familiengeschichte nun durchbrechen konnte oder doch eher fortsetzen wird?

Fazit: Sehr symbolhafte Aufarbeitung einer schrecklichen Familiengeschichte mit Natur, Religion und Mythologie. Insgesamt sehr interessant, wenn ich mir auch gerade für ein Jugendbuch manchmal eine etwas direktere Auseinandersetzung gewünscht hätte. Vieles bleibt offen und der Roman noch eine ganze Weile in Erinnerung. Keine leichte, aber doch eine lesenswerte Lektüre. 4 Sterne





Allgemeine Informationen

Ausgabe: Klappenbroschur, 14.Januar 2013
Seiten: 416
Verlag: cbj
englischer Originaltitel: Madapple
ISBN: 978-3570401613
Preis: € [D] 12.99

 Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage



Dienstag, 1. Januar 2013

Rezension zu "Während ich schlief" von Anna Sheehan


 sehr berührend - ein wundervolles Buch

"Während ich schlief" von Anna Sheehan ist ein Roman mit Science-Fiction-Elementen, für Jugendliche wie für Erwachsene gleichermaßen geeignet, der mich sehr beeindruckt hat.

Inhalt: Als Rose aus ihrem künstlichen Schlaf erwacht, ist niemand mehr da, den sie einst kannte. 62 Jahre sind vergangen, ihre reichen Eltern sind tot, ihren langjährigen Freund Xander, der kurz vor ihrem Schlaf zu ihrer ersten großen Liebe wurde, ist unauffindbar und anstatt in ihrem Zimmer steht die Kammer, in der sie schlief, im Keller ihres alten Wohnhauses. Vor ihr steht ein fremder Junge namens Bren. Die plötzliche Rückkehr der Fitzroy-Tochter für einigen Wirbel, denn sie ist die Erbin eines Megakonzerns und, während Rose versucht sich in der veränderten Welt zurecht zu finden, trachtet ihr bereits jemand nach dem Leben...

In einem Interview habe ich gelesen, dass die Autorin von dem Märchen "Dornröschen" zu "Während ich schlief" inspiriert wurde. Das Buch beginnt dort, wo das Märchen eigentlich schon endet. Rose erwacht durch einen Kuss aus ihrem Schlaf und plötzlich hat sich die ganze Welt verändert. Für Rose fühlt es sich, abgesehen von einer schwerwiegenden körperlichen Erschöpfung, an, als wäre kein Tag vergangen, seit sie von ihren Eltern in die Stasis, den künstlichen Schlaf versetzt wurde, doch in Wirklichkeit hat sie 62 Jahre lang keiner aufgeweckt. Das allein ist schon eine beängstigende Vorstellung und die Art, wie die Autorin dies anhand des Schicksals ihrer jungen Ich-Erzählerin umsetzt, ist in meinen Augen einzigartig und sehr berührend.

Rose ist kein Charakter, den man sofort verstehen kann. Durch den langen Schlaf ist sie geschwächt und insgesamt ein sehr trauriger, aber auch sehr stiller Charakter. In ihrer Einsamkeit versucht sie Halt bei Bren zu finden, der aber wenig Interesse an ihr zeigt. Stattdessen klammert sie sich an ihre Vergangenheit und ihre große Liebe Xander, den sie nicht aus dem Kopf bekommt. Nach und nach wird in "Während ich schlief" aus Rose' Kindheit und Jugend erzählt und neben einer sehr bezaubernden Liebesgeschichte zwischen Rose und Xander kommt dabei auch häppchenweise das gesamte unvorstellbare Ausmaß von Rose' Schicksal ans Licht, das mich sehr berührt und während des Lesen oft frustriert, wütend und traurig gemacht hat. Rose' Charakter ist im Gesamtbild sehr schlüssig und macht das Buch zusammen mit dem Tiefgang und der sehr gelungenen Handlungsführung, die den Leser immer wieder vor neue Überraschungen stellt, zu einem echten Juwel.

Action steht zwar nicht im Vordergrund dieser emotionalen Geschichte, kommt aber nicht zu kurz, denn ein Roboter, aus dessen Sicht einige Kapitel geschrieben wurden, verfolgt Rose mit dem Auftrag, sie zu töten. Diese kurzen Zwischenkapitel aus einer anderen Perspektive sind eine weitere große Stärke des Romans. Die Spannung ist hier fast greifbar und verursacht Gänsehaut.
Insgesamt darf natürlich auch der sehr harmonisch wirkende und perfekt an die Ich-Erzählerin angepasste Schreibstil der Autorin, der Rose' Schicksal für den Leser zu einer erlebenswerten Reise mit greifbarer, emotionaler Stimmung und fesselnder Spannung macht, nicht unerwähnt bleiben. Auch facettenreiche Nebencharaktere, unter denen besonders Rose' Mitschüler Otto, das Ergebnis einer experimentellen Kreuzung von menschlicher und außerirdischer DNA, heraussticht, werten das Buch zusätzlich auf.

Fazit: Für mich ein nahezu perfektes Buch, das durch seine Ich-Erzählerin und deren auf eine sehr greifbare, ehrlich wirkende, tiefe Traurigkeit besticht, auch mit wenig Action einen an fesselnder Spannung kaum zu überbietenden Handlungsverlauf aufbaut und eine sehr durchdachte Welt präsentiert. Ich konnte es nicht aus der Hand legen. Eine Fortsetzung zu diesem wunderbaren Roman soll in Arbeit sein, er funktioniert allerdings auch sehr gut als Einzelband, obwohl ich wirklich nur zu gerne mehr von diesen ausgereiften, interessanten Charakteren gelesen hätte. Ohne jede Diskussion bekommt "Während ich schlief" von mir 5 Sterne.


Die Reihe (mit Links zu Amazon.de):
  1. "Während ich schlief" (Okt. 2011, englischer Origialtitel: "A long, long Sleep")
  2. noch nicht bekannt

Allgemeine Informationen

Ausgabe: Broschiert
Erschienen:  17. Oktober 2011
Seiten: 352
Verlag: Goldmann
ISBN: 978-3-442-47565-0
Preis: € [D] 12.00

Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage zum Buch

Freitag, 2. November 2012

Rezension zu "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" von John Green


Zum Weinen und zum Lachen

"Das Schicksal ist ein mieser Verräter" von John Green ist ein Jugendbuch über Krebs, das mich auf ganzer Linie überzeugen konnte.

Zum Inhalt: Hazel ist 16 und schon seit Jahren krebskrank. Obwohl sie unheilbar krank ist, will sie kein Mitleid und eigentlich auch nicht in die Selbsthilfegruppe, in der sie sich mit gleichaltrigen Krebskranken austauschen soll. Doch eines Tages trifft sie dort Augustus, einen intelligenten und gut aussehenden Jungen, der durch den Knochenkrebs ein Bein verloren hat. Von ihm fühlt sie sich verstanden und verliebt sich. Und dann erfüllt Augustus Hazel auch noch ihren größten Wunsch...

Wie bei einer Krebsgeschichte zu erwarten, ist "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" ein emotional sehr berührendes Buch voller ergreifendem Mitgefühl, unverblümter Ehrlichkeit und mitreißender Traurigkeit. Wenn man also dieses Buch zur Hand nimmt, sollte man sich auf einige Tränen gefasst machen, denn, dass diese fließen werden, ist praktisch garantiert.

Allerdings ist Greens Roman noch mehr und dieses „mehr“ macht ihn so überraschend lesenswert – und das für jede Altersgruppe, nicht nur für die Jugendlichen, für die er geschrieben wurde, und die jung gebliebenen Erwachsenen, die sich ohnehin von Jugendliteratur angesprochen fühlen. „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ ist nämlich auch bissig, selbstironisch und sarkastisch, was sich neben dem flüssigen Schreibstil insbesondere in der gelungenen Ich-Erzählerin Hazel widerspiegelt.

Hazel, ein junges Mädchen, das durch ihre Krankheit auf der einen Seite sehr erwachsen wirkt, das unabhängig sein will, aber nicht kann, da sie ständig auf Hilfe angewiesen ist, und fröhlich sein will, anstatt sich dem Mitleid anderer auszusetzen und deren Klischees von der depressiven Krebspatientin zu erfüllen. Trotz allem hat Hazel aber auch eine sehr verletzliche und naive Seite, die sich besonders in ihrem großen Wunsch, den Autor ihres Lieblingsbuches, der zurückgezogen in Holland lebt, zu treffen und nach dem weiteren Leben der Protagonisten seines Romans zu fragen, äußert.
Zu dieser sehr eigenwilligen Ich-Erzählerin gesellt sich der ebenfalls sehr facettenreiche Augustus (Gus). Es entwickeln sich sowohl amüsante, zwischen den Zeilen tiefgründige  Gespräche als auch eine zarte Liebesgeschichte zwischen diesen beiden außergewöhnlichen Charakteren, die einen sehr glaubwürdigen Eindruck hinterlassen.

Fazit: Ein definitiv All-Age-geeignetes Jugendbuch zum Weinen und zum Lachen gleichermaßen, das durch seine emotionale Tiefe, aber auch durch viel Humor und besondere Charaktere überzeugen kann. Sehr lesenswert, wunderschön und ein Buch, an das man noch lange denken kann. Eindeutig 5 Sterne.


"Das Schicksal ist ein mieser Verräter" von John Green bei Amazon.de 

Allgemeine Informationen

Ausgabe: Gebunden, Juli. 2012
Seiten: 285
Verlag: Carl Hanser
englischer Originaltitel: The fault in our stars
ISBN: 978-3446240094
Preis: € [D] 16.90

Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage zum Buch



Samstag, 29. September 2012

Rezension zu "Dornentöchter" von Josephine Pennicott


Ein wenig zu trocken

"Dornentöchter" von Josephine Pennicutt erzählt die Geschichte einer Familie in einem kleinen (fiktiven) tasmanischen Dorf namens Pencubitt, die mir insgesamt gut gefallen hat.

Inhalt: Nach dem Tod ihrer Mutter und der Trennung von ihrem Mann Jack zieht Sadie mit ihrer Tochter Betty nach Tasmanien, in das Dorf Pencubitt, wo sie das Poet's Cottage geerbt hat, das alte Haus ihrer Großmutter Pearl. Pearl war eine berühmte Kinderbuchautorin und sehr exzentrisch, bis sie 1936 im Keller des Poet's Cottage brutal ermordet wurde. Seitdem soll es dort angeblich sogar spuken....
Sadie, selbst auch Autorin, hat sich vorgenommen, die Geheimnisse ihrer Großmutter zu entschlüsseln, ihren Tod aufzuklären und ein Buch über sie zu schreiben. Im Garten des Poet's Cottage lebt noch immer Sadies alte Tante Thomasina, die voller Hass für ihre Mutter ist - ganz im Gegenteil zu ihrer Schwester Marguerite, Sadies Mutter, die stets nur gut von ihr gesprochen hatte. Mit einem anderen Buch über Pearl, geschrieben von ihrer alten Freundin Birdie, die immer noch in Pencubitt lebt, versucht Sadie das Leben ihrer Großmutter zu verstehen...

Dieser Roman, der sich irgendwo zwischen Familienschicksal, Kriminalroman und Gruselgeschichte bewegt, war nicht leicht zu lesen. Auf den knapp 400 Seiten tummeln sich nicht wenige Protagonisten, deren Schicksale und Geschichten zu einem Gesamtbild geflochten werden wollen. Das gelingt der Autorin zwar sehr gut, sodass die Handlung mir zum Schluss sehr stimmig und gut durchdacht erschien, aber mit dem eher trockenen Schreibstil hatte der Roman leider doch einige Längen, die von den kurzen Gänsehaut-Momenten und den starken Charakteren nicht aufgewogen werden konnten. Sprachlich wirkt "Dornentöchter" leider recht altbacken, etwas stelzig und staubig - und das nicht nur in Birdies Buch "Die Netzspinnerin", welches der Leser mit der Hauptfigur Sadie gemeinsam liest, sondern auch in der modernen Gegenwart. Der Wechsel zwischen gegenwärtiger Geschichte und Birdies Erzählungen von Pearl und ihrer ungleichen Freundschaft aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sorgte allerdings ein wenig für Auflockerung.

Die Charaktere waren allesamt sehr vielschichtig und stark und sorgten mit ihren Entwicklungen im Laufe des Romans für Überraschungen. Besonders interessant ist aber Sadies verstorbene Großmutter Pearl, deren Leben in dem kleinen Dorf Pencubitt, der Heimat ihres Mannes Maxwell, alles andere als einfach war. Pearl wurde durch ihre exzentrische, freizügige Art zum Zentrum von Klatsch und Tratsch im Dorf und machte sich schnell Feinde, was die Aufklärung ihrer Ermordung nicht gerade einfach macht. Ihr wurden Affären mit mehreren Männern nachgesagt, sie trank, kleidete sich auffällig und selbst ihre älteste Tochter hatte nichts als Verachtung für sie übrig. Mit Sadie gemeinsam einzutauchen in dieses abenteuerliche Leben, das ein so tragisches Ende nahm, war sehr spannend und macht den eigentlichen Reiz dieses Romans aus.

Fazit: Eine interessante Familiengeschichte mit ein paar Geistern aus der Vergangenheit und einem ungelösten Mordfall. Leider etwas trocken zu lesen, aber dennoch ein lesenswerter Roman aus dem fernen Australien. 4 Sterne



"Dornentöchter" von Josephine Pennicott auf Amazon.de


Allgemeine Informationen

Ausgabe: Gebunden, Sep. 2012
Seiten: 400
Verlag: List
Originaltitel: Poet's Cottage
ISBN: 978-3471350867
Preis: € [D] 19.99

Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage

Rezension zu "Der Tod kann mich nicht mehr überraschen" von Heike Vullriede


Ist das Leben so schlecht?

"Der Tod kann mich nicht mehr überraschen" von Heike Vullriede ist ein Roman, der sich mit dem Thema Sterben und dem "Loslassen" beschäftigt. Meine Erwartungen an die Geschichte, insbesondere an ihre emotionale Seite, konnte er allerdings nicht erfüllen.

Zum Inhalt: Marvin bekommt eine Diagnose, die sein Leben für immer verändert. Er hat einen Gehirntumor und muss sich einer Chemotherapie unterziehen. Während er im Krankenhaus liegt, besuchen ihn allerhand Verwandte, Freunde und Bekannte, die sich Marvin allerdings plötzlich von einer ganz anderen Seite zeigen. Doch auch Marvin verändert seine Krankheit sehr...

Der Großteil des Romans spielt im Krankenhaus. Im Mittelpunkt steht allerdings nicht die Auseinandersetzung mit der Krankheit selbst oder dem im Klappentext angekündigten "Kampf" dagegen, sondern die Aufarbeitung der Beziehungen zwischen Marvin und den Menschen, die ihn im Laufe seiner Zeit im Krankenhaus besuchen kommen. Eigentlich ein vielversprechender Ansatz, gerade wenn es um die emotionale Ebene des Romans geht, mich hat es aber leider eher enttäuscht. Marvins Besucher entpuppten sich ausnahmslos als eine Parade aus Schlechtigkeiten und Enttäuschungen. Zwar werden einige dieser ausgeworfenen Konflikte anschließend wieder aufgearbeitet, ich empfand aber schon das Auflaufen all dieser Besucher im Krankenhaus als sehr eintönig, da jeder Krankenbesuch ähnlich ablief. Dadurch hatte dieses dünne Büchlein vor allem im Mittelteil für mich erhebliche Längen.

Was mit völlig fehlte, war der "Kampf" gegen die Krankheit. Sicher konnte man sich im Laufe des Romans auch fragen, wozu Marvin überhaupt kämpfen sollte. Sein soziales Umfeld stellt sich immerhin als so schlecht heraus, ohne jegliche Lichtblicke - jedenfalls keine, die nicht nach spätestens zwei Seiten wieder zerstört werden, dass es mir schwer fiel, darin eine Motivation für das Leben zu finden. Stattdessen verliert Marvin sich auch noch in Verschwörungstheorien, mit denen er das Krankenhauspersonal nervt - und mich auch, denn diese Nebenhandlungen waren einfach nur völlig irrelevant. Auch der Umgang der Ärzte und Pfleger mit Marvin war für mich unglaubwürdig. Sie wissen, dass vieles von dem, was er tut und denkt, von seiner Krankheit beeinflusst wird, gehen aber kaum darauf ein und bieten auch keine darauf ausgerichtete Betreuung.

Der Schreibstil dagegen war sehr gut, auch wenn die Geschichte am Ende zu schnell erzählt wurde, wodurch leider einige Abläufe kaum noch zu erschließen waren. Der Schluss selbst konnte mich dann zwar wieder ein wenig mehr überzeugen, als einige Passagen zuvor, aber insgesamt fehlte mir vor allem gefühlsmäßig einiges. Die Geschichte wird ausnahmslos aus der Perspektive des kranken Marvins erzählt und bietet dennoch zu wenig Sympathieträger und zu wenig berührende Momente, stattdessen viele abstoßende, die mich in ihrer Masse nur leider schlicht erschlagen haben.

Fazit: Es war nicht das, was ich erwartet hatte. Die Aufarbeitung der zwischenmenschlichen Beziehungen als Vorbereitung auf den Tod steht im Mittelpunkt, nicht die Krankheit selbst, aber vieles wird einfach durch zu viele, teilweise sehr nichtssagende, Nebenhandlungen verdrängt und das durchgehend deprimierende Niveau erstickte meine letzten Gefühlsregungen, die durch mangelnde Sympathieträger ohnehin schon recht eingeschränkt waren. 3 Sterne



"Der Tod kann mich nicht mehr überraschen" von Heike Vullriede bei amazon.de

Allgemeine Informationen

Ausgabe: Broschiert, August 2012
Seiten: 234
Verlag: Luzifer
ISBN: 978-3943408072
Preis: € [D] 14.50

Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage

Donnerstag, 14. Juni 2012

Rezension zu "Stimmen in der Nacht" von Laura Brodie


Eine Nacht, die ihr Leben veränderte...
 
"Stimmen in der Nacht" von Laura Brodie erzählt von einer Familientragödie, die zehn Jahre nach dem eigentlichen Ereignis langsam aufgearbeitet wird. Die spannende Leseprobe und auch das Cover mit dem etwas traurig wirkenden Kindergesicht überzeugten mich zunächst von diesem Buch. Am Ende bin ich aber leider nicht mehr ganz so überzeugt...

Inhalt: Die 5-jährige Maggie und ihre Mutter, die Collegeprofessorin Emma, sind allein in ihrem abgelegen stehenden Haus, als eines Abends drei Studenten in der Gegend auftauchen. Ein harmloses Gespräch und ein Toilettengang enden mit einem Blutbad, welches das kleine Mädchen mit ansieht. Fast zehn Jahre später kommen die Ereignisse in Maggie wieder hoch, die Alpträume in der Nacht, die über die Jahre nachgelassen haben, kehren plötzlich zurück. Hat es etwas mit Maggies neuer Mathelehrerin zu tun, die ihr ohne wirklichen Grund so unheimlich erscheint? Und was ist in dieser Nacht wirklich passiert?

"Stimmen der Nacht" hat mir erst wirklich sehr gut gefallen. Die Charaktere sind authentisch, vor allem die 15-jährige Maggie, die Tag für Tag die Erinnerung an das traumatisierende Ereignis ihrer Kindheit mit sich herumschleppt und sich nie getraut hat, die ganze Wahrheit preiszugeben. Die Autorin erzählt die Geschichte sehr geschickt, lenkt den Leser in falsche Richtungen und überrascht ihn dann vollkommen. Dadurch und auch durch den sehr guten Schreibstil, der eine intensive Atmosphäre erzeugt, ist die Spannungsdichte durchgehend hoch, sodass ich das Buch auch kaum aus der Hand legen konnte...nur kam dann leider, nach etwa der Hälfte der Einbruch und die schleppende, schwerfällige Langeweile.

Nach einer wirklich starken Wendung, die mir als Leser noch einmal fast den Atem raubte - eine der besten und überraschensten Wendungen, die ich seit langem gelesen habe, so gut vorbereitet, dass sie nicht im Geringsten vorherzusehen war - bricht die Spannung einfach völlig in sich zusammen. Der Roman hat sein Pulver verschossen, schon nach der Hälfte hält er keine Überraschungen mehr bereit. Die weiteren Schilderungen verlieren sich in Rückblenden in die Leben der Protagonisten, deren Lebenswege durch diese schicksalshafte Nacht dauerhaft verändert wurden. Insbesondere das direkte Nachbeben, das die Bluttat auf dem Campus auslöste, sowie die Schuldfrage stehen im Mittelpunkt. Teilweise konnten diese Abschnitte mich noch emotional berühren, teilweise waren sie aber auch belanglos, gegen Ende sogar sehr klischeebehaftet, was ich beim Lesen der starken ersten Hälfte dieses Romans eigentlich nicht für möglich gehalten hätte.

Vielleicht war ich zu verwöhnt von der intensiven Atmosphäre des Anfangs, von der Spannung und den starken Emotionen der glaubhaften Protagonisten, dass mir der weitere, eigentlich mittelmäßige Verlauf der Handlung, enttäuschend schwach erschien. Ich wartete auf den nächsten großen Höhepunkt, sicher, dass die tolle Wendung des Mittelteils nicht die letzte gewesen sein könnte, doch es kam nichts mehr. Stattdessen pendelte es sich auf konstant niedrigem Spannungsniveau ein und dümpelte dann auf diesem daher. Auch einige schockierende Details aus dem Leben des Opfers wirkten höchstens noch bemüht, überraschend waren sie nicht mehr. Das Ende fand ich dann wenigstens wieder etwas gelungener, nicht spannend, aber stimmig und mit schlüssigen Entwicklungen der Charaktere und ihren Beziehungen zueinander.

Der Schreibstil der Autorin bleibt allerdings über den ganzen Umfang des Romans hinweg sehr gut. Der Perspektivwechsel macht das Lesen abwechslungsreich, die Charaktere werden glaubhaft vermittelt und die Beschreibungen sind detailiert. Sie erwecken die beschriebenen Situationen im Kopf zum Leben. "Stimmen der Nacht" ist zu großen Teilen ein nachdenklicher Roman mit vielen Gefühlen, wobei das Gefühl der Schuld die Handlung dominiert und sich wie ein roter Faden durch diese hindurchschlängelt. Die Charaktere sind es auch, die mit ihrer Authentizität und mit ihren jeweils eigenen Art, mit dem Schicksalsschlag umzugehen, das Niveau das Romans hoch halten, wenn die Spannung schon ins Bodenlose gefallen ist und die verbleibenden Geheimnisse und Enthüllungen nicht mehr überraschen können.

Fazit: Ein sprachlich sehr guter Roman mit wundervollen Charakteren und einer einzigartigen Wendung. Wer sich für Familienschicksale begeistern kann und zudem vielleicht auch etwas für Krimis übrig hat, wird mit "Stimmen der Nacht" wahrscheinlich keinen Fehlkauf begehen. Leider hält der Roman die Spannung nicht, sodass ich zwischen 3 und 4 Sternen schwanke, mit Tendenz nach oben. Also 4 Sterne und eine eingeschränkte Leseempfehlung.


"Stimmen in der Nacht" von Laura Brodie bei Amazon.de

 Allgemeine Informationen

Ausgabe: Taschenbuch, 1. Juni 2012
Seiten: 336
Verlag : Deutsche Taschenbuch Verlag (dtv)
Englischer Titel: All the Truth (3. Juli 2012)
ISBN: 978-3423249126
Preis: € [D] 14.90
 Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage