Donnerstag, 18. April 2013

"Incarceron" von Catherine Fisher



Kontrastreiches Setting

‟Incarceron - Fliehen heißt sterben“ von Catherine Fisher ist der erste Band einer Dilogie, der in Großbritannien bereits 2007 veröffentlicht wurde, und ist im Bereich fiktionaler Literatur für Jugendliche/junge Erwachsene anzusiedeln. Das genaue Genre lässt sich dann aber schon weniger leicht benennen: Fantasy, Science Fiction oder eine Mischung aus beidem?
 
Bevor ich diese Frage beantworte, aber ein paar Worte zum Inhalt:  
Finn lebt in Incarceron, einem riesigen Gefängnis, das schon vor Ewigkeiten von der Außenwelt abgeschlossen wurde. Das Gefängnis lebt, überwacht seine Insassen bei jedem Schritt – eine Flucht scheint unmöglich. Doch Finn träumt von den Sternen und, als ihm eines Tages ein Schlüssel in die Hände fällt, beginnt seine Suche nach einem Ausgang.
Im Königreich außerhalb lebt Claudia, die Tochter des Hüters von Incarceron. Ausgerechnet sie könnte Finn bei der Flucht helfen...


Die Perspektive dieses Romans ist von Anfang an aufgeteilt auf Finn, der sich innerhalb Incarcerons befindet, und auf Claudia, die außerhalb lebt. Beide beschriebenen Welten könnten unterschiedlicher kaum sein und genau daran liegt für mich die große Stärke dieser Geschichte. Incarceron ist düster, gefährlich, barbarisch, das Königreich außerhalb – auf den ersten Blick – prächtig und wohlhabend. Der Wechsel zwischen diesen beiden Extremen, der beim Lesen auch durch die plötzliche und intensive Umstellung der gesamten Atmosphäre sehr direkt spürbar wird, ist spannend, wie auch die Aufklärung, was Incarceron eigentlich ist. Das ist das Geheimnisvollste dieses Romans, der ansonsten leider auch mit zu viel Offensichtlichem zu kämpfen hat. Denn Teile des großen Rätsels, hauptsächlich diejenigen, die sich um Finns Vergangenheit ranken, sind für den Leser und auch für die zweite Protagonistin, Claudia, schnell gelöst, was sich ein wenig nach verschenktem Potential anfühlte.

Ansonsten sind alle Charaktere sehr interessant umgesetzt und spiegeln jeweils gelungen ihr Lebensumfeld wider. Wie sich auch schon das allgemeine Setting von den großen Unterschieden und dem schnellen Wechsel zwischen diesen beiden Welten lebt, so profitieren allerdings auch die Charaktere stark von ihren sehr ausgereift beschriebenen und phantasievoll gestalteten Lebensbedingungen. Denn Claudia, die Tochter des unterkühlten Hüters, das wohlerzogene, aber im Verborgenen widerspenstige Mädchen, hätte, was ihre persönliche Tiefe angeht, noch ein wenig Luft nach oben gehabt, während Finn zeitweise sogar etwas hinter den dominanteren Nebencharakteren in seiner Umgebung zurückstecken musste. Dies bedeutet keineswegs, dass die beiden Hauptprotagonisten schwach umgesetzt waren (sie sind insgesamt durchaus gelungen) oder mich nicht berühren konnten – das konnten sie -, allerdings waren es vor allem die Nebencharaktere, die mich mehr überzeugten, dem Roman viele abwechslungsreiche Facetten gaben und den Leser emotional intensiv in die Geschichte ein einbanden.

Insgesamt besticht ‟Incarceron“ zudem durch die kreative Idee hinter dem Roman und durch die atmosphärisch starke, oft beeindruckend bildhafte Sprache. Incarceron erscheint gigantisch, düster und bedrückend, während die mittelalterlich anmutende Welt außerhalb mit ihren Kutschen und Kleidern einen ganz offenen, natürlichen und – ich finde kein besseres Wort – ‟bunten“ Eindruck macht. Diese beiden Eindrücke sind als Bilder im Kopf während des Lesens durch den eindringlich beschreibenden Stil sehr greifbar. Neben diesem beeindruckenden Wechsel zwischen Dunkelheit und farbenfrohem Prunk, überraschte der Roman mich dann vor allem durch die Brüche in meiner Vorstellung – ein futuristisches Fernglas oder eine normale Taschenlampe wirken in dieser zunächst mittelalterlich anmutenden Welt deplatziert, das Kopfkino rebelliert, die Phantasie wird angeregt. Gerade solche Details haben mir sehr gut gefallen, weil sie ‟Incarceron“ einzigartig machen. Und damit komme ich auch automatisch zurück zu meiner ursprünglichen Frage: Fantasy oder Science Fiction?

Immer wieder halte ich Bücher in der Hand, bei denen es mir schwerfällt, sie in ein Genre einzuordnen. Heutzutage wird vieles, was eine düstere Zukunftsvision beinhaltet, gerne und meiner Meinung nach oft zu leichtfertig als Dystopie bezeichnet, doch im Falle von ‟Incarceron“, das den meisten Stimmen nach als Fantasy eingestuft wird, scheint diese Einordnung durchaus treffend. Denn so sehr die Elemente des Gefängnisses auch aus dem fantastischen Genre zu stammen scheinen und man sie sogar recht leicht für High-Fantasy, eine Geschichte aus einer völlig fremden Welt, halten könnte, die Anzeichen, dass es sich in Wirklichkeit um einen weit in der Zukunft angesiedelten Science-Fiction-Roman handelt, sind deutlich zu erkennen.

 
Zwar wird dem Leser nicht im Detail bekannt, wie diese Zukunft entstand, was zu dem Krieg führte, der die Menschen zu dem Experiment brachte, einen Teil der Bevölkerung in das intelligente, sich selbst erhaltende Gefängnis, zu schicken, und auch das Leben derjenigen außerhalb Incarcerons in einer Gesellschaft, die an ein mittelalterliches Königreich erinnert, scheint auf den ersten Blick nicht wirklich futuristisch. Doch schnell merkt der Leser durch geschickt platzierte Details, dass die ‟Äratreue“ nur gespielt ist und auf nichts anderem als auf einer Verehrung längst vergangener Zeiten beruht, während sich in der Welt im Hintergrund nach wie vor eine Menge Technologie verbirgt, die der unseren weit voraus ist. So stößt man auch unweigerlich auf die übliche Grauzone zwischen Fantasy und Science Fiction: In welchem Maße ist es vorstellbar, dass die vermeintlich fantastischen Elemente, wie etwa das lebende Gefängnis Incarceron, allein durch einen enormen technologischen Fortschritt realisiert wurden? In meinen Augen bewegt sich ‟Incarceron“ genau in dieser Grauzone, allerdings eher auf Seiten der Science-Fiction-dominierten Grenze. Ich sehe darin also eher die (dystopische) Zukunftsvision, weniger die Fantasy. Dennoch werden durch die völlig fremdartig wirkende Welt wahrscheinlich auch Fantasy-Fans und unter diesen auch die Anhänger der High-Fantasy in ‟Incarceron“ eine lesenswerte Geschichte vorfinden.

Fazit: Vor allem durch das abwechslungsreiche Setting und die spannende Idee absolut lesenswert – ein Roman an der Grenze zwischen Science Fiction (Dystopie) und Fantasy. Interessante Charaktere runden das Bild ab, auch wenn das Potential der Überraschungsmomente nicht immer voll genutzt wurde. Daher vergebe ich gute 4 Sterne, mit deutlicher Tendenz nach oben. Ich bin gespannt auf den zweiten Band... 




 Die Reihe (mit Links zu Amazon.de):
  1. "Incarceron - Fliehen heißt sterben" (März 2013, englischer Originaltitel: "Incarceron")
  2. nicht bekannt (englischer Originaltitel: "Sapphique")

Allgemeine Informationen

Ausgabe: Gebunden
Seiten: 480
VerlagPenhaligon
ISBN: 978-3-7645-3080-8
Preis: € [D] 18.99
 
Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage

 
 

4 Kommentare:

  1. Wie werden in "Incarceron" eigentlich Konflikte ausgelöst? Ich mochte an einem anderen Jugendroman der Autorin, dass diese nur selten durch Draufhauen der Helden/durch Gewalt gelöst wurden. Sie hatte immer sehr subtile Problemlösungen, die mich stark beeindruckt haben.
    Wenn "Incarceron" auch in diese Richtung geht, würde ich es nämlich richtig gerne lesen.

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    1. Es ist kein Buch ganz frei von Gewalt, aber es ist tatsächlich so, dass gerade die Hauptcharaktere häufig andere Wege finden oder die Gewalt auch stoppen. Also vielleicht wäre es etwas für dich.

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  2. Ich bin hier gerade reingestolpert, und wollte nur mal Hallo sagen und obwohl da sicher genug Motivation ist, weiterzumachen, sag ich dennoch, weiter so :)
    Liebe Grüßé

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  3. Uhh, das Buch will ich auch unbedingt noch lesen!

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