Schwere Kost ohne Übersicht
"Ein plötzlicher Todesfall"
von J.K. Rowling - der Roman nach "Harry Potter" und der
Versuch der Autorin sich auch außerhalb der Jugend-Fantasy zu
etablieren. Meiner Meinung nach hätte "Ein plötzlicher
Todesfall" inhaltlich auch das Potenzial zu einem sehr guten
Roman, aber leider hat die Autorin einfach zu viel gewollt.
Inhalt: Als Barry Fairbrother plötzlich
verstirbt, ist die kleine Gemeinde Pagford über seinen frühen Tod
geschockt - zunächst. Denn Barry war Gemeinderat und Unterstützer
der sozial schwachen Siedlungen am Rande der Gemeinde und durch den
nun frei gewordenen Sitz im Rat wittern sowohl Barrys Gegner als auch
seine Freunde eine Chance, in der Politik ein wenig mitzumischen.
Hinter den Türen Pagfords nehmen die kleinen Verschwörungen und
Intrigen ihren Lauf, die den kleinen Ort in den nächsten Tagen bis
zur entscheidenden Wahl beschäftigen werden.
Barry, Mary, Kay, Gavin, Declan,
Fergus, Niamh, Siobhan, Parminder, Vikram, Sukhvinder, Jaswant,
Rajpal, Stuart, Andrew, Krystal, Tessa, Terri, Cheryl, Robbie, Simon,
Nana Cath, Ruth, Paul, Colin, Lexie, Libby, Samantha, Shirley,
Howard, Miles, Maureen, Gaia...
Das sind einige Namen, die im Laufe von
Rowlings Geschichte fallen werden. Manche wichtiger, manche
unwichtiger, wobei es nichts gibt, was einen eher nebensächlichen
Charakter davon abhalten könnte, plötzlich - und sei es nur für
ein paar Seiten - in den Mittelpunkt zu rücken. Gerade am Anfang
habe ich mich viel zu oft gefragt: "Wer war das noch mal?".
Welche Position vertritt die Figur, wer gehört zu welcher Familie,
wer verbirgt sich hinter Spitznamen wie Pingel, Fats oder Arf? Eine
Übersicht gibt es nicht, feste Perspektiven innerhalb eines Kapitels
gibt es nicht - einfach zurückblättern und die Antwort auf die
Frage finden ist mindestens umständlich, wenn ich sogar manchmal
fast unmöglich. Einige Figuren kommen aus dem nichts, verschwinden
wieder, tauchen erst viele Kapitel später wieder auf. Das, zusammen
mit der Vielzahl der Charaktere, macht die erste Hälfte von "Ein
plötzlicher Todesfall" nicht gerade zu einem Lesevergnügen.
Neben der Handlung selbst muss sich der Leser sehr auf Namen und
Zugehörigkeiten der Protagonisten konzentrieren und kann bei all dem
Kramen nach den Erinnerungen schnell den Überblick verlieren.
Hinzu kommt, dass die Geschichte am
Anfang, nach Barry Tod, recht schwerfällig in Gang kommt. Es hieß
also gerade auf der ersten Hälfte des Romans hochkonzentriert einen
eher trockenen Stoff zu lesen - das sorgte bei mir für erhebliche
Längen. Selbstverständlich sollte niemand ausgehend von seiner
Begeisterung für die Harry-Potter-Bücher zu diesem Roman greifen,
da schon der Inhalt darauf verweisen sollte, dass es sich hier um
etwas völlig anderes handelt, aber dennoch ziehe ich jetzt einen
kleinen Vergleich: Rowlings neuem Werk fehlt die Leichtigkeit. Hier
wurde viel gewollt, unzählige Schicksale, soziale und familiäre
Abgründe wurden auf 570 Seiten gepackt, um dem Leben einer ganzen
Stadt gerecht zu werden. Weniger wäre wahrscheinlich mehr gewesen.
Mehr Übersichtlichkeit, weniger Verwirrung. Außerdem fehlen unter
den Charakteren die Identifikationsfiguren, die Sympathieträger.
Denn die Abgründe des sozialen und politischen Miteinanders stehen
für Rowling zweifellos im Mittelpunkt und die meisten Figuren
verkörpern Tristesse und Missmut.
Wenn sich der Leser erst einmal eine
Übersicht geschaffen hat, wird der Roman spannender und gipfelt in
einem fantastischen Ende, in dem das Talent der Autorin zweifelsfrei
wieder aufblitzt. Es ist außerdem hervorragend geschrieben, die
Geschichte ist - im Nachhinein betrachtet - in sich stimmig und sehr
durchdacht, was allerdings leider während des Lesens teilweise von
der undurchsichtigen Charakterkonstellation verborgen wird. Bei der
Perspektive bleibt die Autorin sich treu. Sie wählt den allwissenden
Erzähler, der ohne festes Muster und erkennbare Übergänge vom
Innenleben eines Charakters zum nächsten wechselt. Dadurch, dass
Rowling jedem ihrer unzähligen Charaktere eine Menge Ballast
aufbürdet, bleibt der Roman atmosphärisch durchgehend eher düster.
"Ein plötzlicher Todesfall" ist schwere Kost, kein
leichtes Lesevergnügen, und auch wenn das nicht zwangsläufig etwas
Schlechtes ist, lechzte ich irgendwann nach ein kleinen Lichtblick in
all den grauen Gedanken. Doch es kam keiner.
Fazit: Der große Wurf ist es nicht.
Mit "Ein plötzlicher Todesfall" hat Rowling viel gewollt -
zu viel. Das soziale Leben einer ganzen Kleinstadt tummelt sich in
diesem Roman, der eine drückende, graue Stimmung versprüht. Es ist
lange unübersichtlich und hat deutliche Längen. Erst das Ende hat
mich richtig mitgerissen. 3 Sterne
"Ein plötzlicher Todesfall" von J.K. Rowling bei Amazon.de
Allgemeine Informationen
Ausgabe: Gebunden, Sep. 2012
Seiten: 576
Verlag: Carlsen
englischer Originaltitel: A Casual Vacancy
ISBN: 978-3551588883
Preis: € [D] 24.90
Ausgabe: Gebunden, Sep. 2012
Seiten: 576
Verlag: Carlsen
englischer Originaltitel: A Casual Vacancy
ISBN: 978-3551588883
Preis: € [D] 24.90
Uii, hört sich ja nicht soo supi an. Ich werde das Buch dann wohl eher nicht lesen, aber trotzdem tolle Rezi :)
AntwortenLöschenLG, Sandrina
Ich hab das Buch immer noch auf dem Schirm, allerdings hab ich auch schon von Anfang an den Gedanken im Hinterkopf gehabt: Gehst du nach Harry Potter nicht mit viel zu hohen Erwartungen an dieses Buch ran? Aber so völlig undurchsichtige Charakterkonstellationen finde ich ganz grauenhaft. Bei "Flamme und Harfe" von Ruth Nestvold war es ähnlich, hunderte von Namen und da gab es hinten ein Personenverzeichnis. Das Blättern hat mich aber schon da genervt. So ganz ohne Übersicht... puuh. Da denk ich vielleicht auch nochmal drüber nach.
AntwortenLöschenHallo Sarah,
AntwortenLöschennun hatte ich leider schon befürchtet, wenn man an Harry Potter denkt.
Schade, aber warum macht Frau Rowling nur so was, also Geld kann es ja wohl nicht sein.
LG..Karin...