Freitag, 10. August 2012

Rezension zu "Die Mädchenwiese" von Martin Krist


Spannend, aber mit anstrengenden Protagonisten

"Die Mädchenwiese" von Martin Krist ist ein wirklich spannender deutscher Thriller, der mir mit einigen Abstrichen sehr gut gefallen hat. Dazu aber später, erstmal zum Inhalt:

In dem kleinen Dorf Finkenwerda in der Nähe von Berlin verschwindet Lisa, ein 16jähriges Mädchen. Ihre alleinerziehende, ohnehin schon gestresste Mutter Laura ist außer sich vor Sorge, ihr kleiner Bruder Sam ebenfalls. Zunächst deutet alles darauf hin, dass die unglückliche, rebellische Tochter einfach nur weggelaufen ist, doch Laura lässt nicht locker und veranlasst ihren Schwager Frank, der Polizist ist, zu einer groß angelegten Suchaktion - zunächst ohne Erfolg. Doch der Kneipenbetreiber des Dorfes, Alex Lindner wird unruhig, denn bis vor drei Jahren hatte er selbst noch als Polizist gearbeitet und die "Bestie" gejagt, die junge Frauen auf scheußliche Art ermordete, und dabei einen Fehler gemacht...

Der Prolog von "Die Mädchenwiese" beginnt mit einer von gefühlt unzähligen Perspektiven. Berta, eine ältere Frau, die im Dorf aufgrund ihrer zurückgezogenen Lebensweise auch als "Hexe" bezeichnet wird, vergräbt auf einer Wiese eine Mädchenleiche, wie es ihr von einer Stimme in ihrem Kopf befohlen wird. Kurz darauf begegnet sie auf der Straße Lisa und ihrem Bruder Sam und die Stimme in ihrem Kopf verkündet Unheilvolles. Was die alte Dame mit dem grausigen Morden verbindet berichtet sie anschließend über die gesamte Länge des Romans selbst. In jedem zweiten Kapitel erzählt sie in der Ich-Perspektive, an zunächst unbekannte Zuhörer gewandt, von den schlimmen Ereignissen ihres Lebens, beginnend mit ihrer Kindheit. Schon diese Geschichte aus der Vergangenheit, die als Hintergrund zu den aktuellen Fällen der verschwundenen Mädchen dient, ist nichts für schwache Nerven. Missbrauch und Gewalt beherrschen diese Kapitel.

Die restlichen Kapitel werden aus der Sicht verschiedener Protagonisten erzählt. Hier beginnt für mich die erste Schwachstelle des Romans. Die Abschnitte der einzelnen Protagonisten sind alle recht kurz und enden in der Regel auf ihrem Spannungshöhepunkt. Anschließend wird - von einer Leerzeile abgesehen ohne erkennbare Trennung - auf den nächsten Protagonisten gewechselt. Selbst im Prolog finden sich schon solche Sprünge. Durch das aprubte Ende eines jeden Abschnitts bleibt die Spannung natürlich hoch und fesselt den Leser an das Buch, durch den schnellen Wechsel auf einen neuen Protagonisten verwirrt es allerdings auch manchmal, zumal das Abschnittsende häufig mit dem Seitenende übereinstimmt und dann nicht einmal mehr eine Leerzeile den plötzlichen Sprung ankündigt. Die Vielzahl der Protagonisten wirkte daher auf mich ein wenig ungeordnet und leider erfährt man durch die kurzen Abschnitte über jeden einzelnen immer nur recht wenig.

Außerdem bin ich sehr zwiegespalten, was die einzelnen Protagonisten im Speziellen angeht. Einige fand ich gut gelungen, besonders die Perspektive der alten Berta und später auch die Sicht des entführten Mädchens, aber einige andere raubten mir in ihrer verherrsehbaren Dummheit den letzten Nerv. Es ist ein wiederkehrendes Motiv in "Die Mädchenwiese", dass einige, darunter selbst der ermittelnde Polizist, niemanden ernst nehmen und stattdessen jedem, der etwas zu sagen hat, beinahe hysterisch über den Mund fahren. Diese Art, die Informationsbeschaffung und somit auch den Ermittlungsfortschritt hinauszuzögern, mag für andere Leser spannend sein, für mich funktioniert das einfach nicht. Es lässt die Figuren irrational und dumm wirken, den Handlungsverlauf in die Länge gezogen und plump.

Würden sie Figuren wenigstens aus ihrem Fehlverhalten lernen und sich in der nächsten, ähnlichen Situation anders verhalten, sodass man von einer Entwicklung sprechen könnte, wäre ich zufrieden gewesen, aber dem ist nicht so. Tatsächlich ist die nervtötende Angewohnheit nicht zuzuhören in diesem Buch schon fast Routine und nicht einmal die falschen Fährten konnten dadurch punkten. Ich weiß doch durch die anderen Perspektiven längst, dass sich hier jemand verrannt hat, und die Vehemenz, mit der einige Figuren dann weiter "rennen", veranlasste mich nur noch zum genervten Augenrollen - und zu sonst nichts.

Am wenigsten anfangen konnte ich dabei mit der Figur "Sam", dem kleinen Bruder der vermissten Lisa. Ich weiß nicht, ob er vielleicht unschuldig und süß wirken sollte, und ich fühle mich fast schlecht, zu sagen, dass ich einen 8jährigen Jungen einfach nur grässlich fand, aber so war es. Ein ständig weinendes, überhaupt nicht lernfähiges Häufchen Selbstmitleid, das - als würde man ununterbrochen auf "repeat" drücken - immer wieder die gleichen Dummheiten abspult. Kein Wunder, dass Mutter und Schwester von ihm völlig genervt sind, ich war es schon nach wenigen Seiten auch. Leider fand ich diesen Charakter einfach nur überzogen.

Den Schreibstil des Autors und, abgesehen von den etwas unglücklich gekennzeichneten Perspektivwechseln, auch den Aufbau des Romans möchte ich dagegen noch einmal lobend erwähnen. Die Spannung ist nach einer etwas flacheren Einleitungsphase durchgehend sehr hoch, der Thriller ist gut durchdacht, hat eine mitreißende und stimmige Hintergrundgeschichte und verursacht wirklich Gänsehaut. Auch wenn ich von manchmal vom Ablauf der Handlung und einigen Protagonisten richtig genervt war, klebte das Buch förmlich an meinen Händen und, während ich andere Bücher bei so viel entnervtem Augenrollen wahrscheinlich schon längst in die Ecke geschmissen hätte, konnte ich dieses hier einfach nicht weglegen. Dazu kommt auch noch die düstere, gelungene Covergestaltung die das Bild eines weitestgehend gelungenen Thrillers abrundet.

Fazit: Ja, "Die Mädchenwiese" ist ein gut geschriebener, mitreißender Thriller und sicher nichts für schwache Nerven. Aber obwohl ich durch die Seiten nur so geflogen bin und es nicht aus der Hand legen konnte, kann ich aufgrund des etwas konstruierten Handlungsverlaufes und der teilweise etwas unausgegorenen Charaktere keine volle Punktzahl vergeben. Ich schwanke daher zwischen 3 und 4 Sternen, komme aber zu dem Schluss, dass dieser Thriller doch zu spannend ist, um "nur" mittelmäßig zu sein und gebe daher knappe 4 Sterne. 


Allgemeine Informationen

Ausgabe: Taschenbuch, 10. August 2012
 Seiten: 416
Verlag : Ullstein Verlag
ISBN:  978-3548283531
Preis: € [D] 9.99
Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage
Es gibt übrigens auch einen Trailer zum Buch:



1 Kommentar:

  1. Gute Rezi.
    Mir ging es ganz ähnlich. Bei mir hat das Buch nur 3 Feen bekommen.

    LG
    Lilly

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