Zu viele offene Fragen
Ich habe schon vor einigen Jahren Romane des Autors Thomas Thiemeyer wie
"Magma" und "Nebra" gelesen und die haben mir gut gefallen. Da ich
gleichzeitig auch viele Jugendbücher lese und Dystopien ohnehin gut finde, dachte ich, dass eine Kombination aus allem nicht allzu
schlecht werden kann und habe bei "Das verbotene Eden - David und Juna"
zugegriffen, obwohl mich das Cover, das sonst oft maßgeblich zu meiner
Kaufentscheidung beiträgt, eigentlich von vornherein wenig angesprochen
hat. Aber dazu später...
Zuerst kurz zum Inhalt: Wir schreiben
das Jahr 2080 in den Überresten einer deutschen Stadt. Männer und Frauen
leben seit 65 Jahren getrennt, denn durch einen Virus hassen sie
einander. Nur durch ein Abkommen werden überhaupt noch Kinder geboren,
doch die Zusammentreffen von Männern und Frauen werden immer
gewalttätiger, das Abkommen ist in Gefahr und ein Krieg droht. In dieser
Zeit leben der junge Mönch David und die Kriegerin Juna, gerade einmal
17 Jahre alt...
Tja, wo soll ich mit meiner Meinung anfangen? Mir hat so vieles an
diesem Roman nicht gefallen...Wie wäre es zum Beispiel mit den
Klappentext? Er verspricht: "Faszinierend düster und wunderbar
romantisch". Ich stimme weder Ersterem noch Letzterem zu. Die aufgebaute
Welt war für mich nicht wirklich düster. Klar, die beiden Völker können
sich nicht leiden und begegnen sich nur gezwungenermaßen. Die Frauen leben
in der Natur, die Männer in den Überresten der Stadt. Die Männer
verwenden zumindest noch Fahrzeuge und moderne Feuerwaffen, die Frauen
sind technisch komplett in die Steinzeit zurückgekehrt. Gelegentlich
fahren die Männer in die Frauenorte im Grenzgebiet, um dort einen Tribut
in Form von Lebensmitteln einzufordern und mit emfängnisbereiten Frauen
im "Schandkreis" Kinder zu zeugen. Aber ansonsten - abgesehen von diesen unerfreulichen Aufeinandertreffen - führen sie getrennt
voneinander ein ziemlich merkwürdiges, spirituelles und nicht unbedingt "düsteres" Leben...und zum "wunderbar romantisch" komme ich später noch...
Leider
fand ich die Welt insgesamt einfach auch kein bisschen glaubwürdig. Es sollen gerade
einmal 65 Jahre vergangen sein! Es leben sogar noch Menschen, die vor
dem Virus Beziehungen zum anderen Geschlecht hatten, wie der Abt
Benedikt oder die alte Magdalena bei den Frauen. Und doch ist angeblich
alles Wissen und fast jede Technik verloren. Wie geht das? Warum sollten
diese Menschen nicht mehr wissen, dass die Stadt Köln heißt, die
beeindruckende Kathedrale Kölner Dom und der Fluss Rhein? Warum haben
sie die gesamte Zivilisation vergessen und die Aufklärung? In nur 65
Jahren und mit Zeitzeugen scheint mir das völlig abwegig! Wenn die
Männer in der Stadt blieben, warum konnten sie die normale Versorgung
nicht auch über die "dunklen Jahre" fortführen? Abt Benedikt erzählt
sogar noch davon, wie er mit einem Messer fast tödlich verletzt wurde
und die Frauen am nächsten Tag verschwunden waren. Da gab es wohl noch
genug Zivilisation, um seine Wunde fachmännisch zu versorgen. Und dann
plötzlich nicht mehr?
Warum gibt es noch Autos, wenn das
Verständnis von Technik kaum noch zur Stromversorgung ausreicht? Autos
über mehr als sechs Jahrzehnte vor Rost und Verfall zu schützen und zu
reparieren ist aber möglich? Wie
funktioniert das eine ohne das andere? Warum leben die Menschen so
schnell wieder in religiösen Gesellschaften, die an das Mittelalter
erinnern? In Deutschland, wo die Religion seit Jahrhunderten an Einfluss
verliert, gibt es plötzlich wieder hauptsächlich strenge Christen bei
den Männern und heidnische Götteranbetungen und Hohepriesterinnnen (!) bei
den Frauen - und das in mindestens zweiter Generation, wobei die aktuelle Hohepriesterin schon gut zwanzig Jahre ihr Zepter schwingt. Das scheint mir alles extrem gewollt und konstruiert, aber
nicht realistisch. Nur weil sich eine Gruppe spaltet, fangen doch nicht
von heute auf morgen alle an sich wieder im Schlamm zu suhlen und sich
"Hexen" und "Teufel" zu nennen!
Weiter geht es mit der
Aufrechterhaltung der Menschheit, wenn Geschlechtsverkehr nicht mehr
freiwillig stattfindet. Angeblich soll die aktuelle Hohepriesterin
Arkana maßgeblich für das bestehende Abkommen verantwortlich sein, das
dafür sorgt, dass die männlichen Kinder den Männern überlassen werden.
Trotzdem ist gerade zur Zeit dieses Abkommen die Nachkommenschaft
gefährdet. Was war vorher? Es gibt Männer und Frauen jedes Alters,
irgendwie muss das also funktioniert haben. Wie bleibt das große
Geheimnis, so wie fast alle Fragen, die bei mir während des Lesens aufkamen, ein Geheimnis blieben. Vielleicht hinterfrage ich auch zuviel, aber ohne Antworten auf all die "Warum?s" ist diese Welt für mich erstmal nicht glaubwürdig. 65 Jahre sind mir einfach zu kurz...
Die Liebesgeschichte zwischen David und Juna rettet leider auch nichts. Es geht im ganzen Roman darum, dass die Liebe zwischen Männlein und Weiblein wiederentdeckt wird, aber man merkt davon einfach nichts. "Wunderbar romantisch" ist eindeutig etwas anderes. Auch die ständige Verknüpfung zu "Romeo und Julia" gingen
mir irgendwann auf die Nerven und die Nebencharaktere waren alle sehr schwarz-weiß und vieles vorhersehbar. Gerade um
Abt Benedikt gibt es eine so offensichtliche Geschichte, die mehrmals
angedeutet, aber dann nicht aufgeklärt wird. Vermutlich kommt dazu in den
Nachfolgebänden noch etwas (was bei den angekündigte Titeln "Logan und
Gwen" für den zweiten Teil und "Ben und Magda" für den dritten Teil zu
vermuten ist), aber warum mussten es dann so offensichtliche Andeutungen sein?
Spannung kam auch nicht auf, der Schreibstil ist
durchschnittlich und die Dialoge manchmal gestelzt. Vor allem Juna war mir unsympathisch und ich konnte ihr ihre Rolle nicht abkaufen.
Ich habe es zu Ende
gelesen, obwohl das Interesse schnell nachgelassen hat, aber ich muss
nun einmal immer wissen, wie es ausgeht. Trotzdem musste ich mich sehr
davon abhalten, nach der ersten Hälfte einfach nur noch die letzten zehn
Seiten zu überfliegen, was ich ,im Nachhinein betrachtet, ruhig hätte
tun können, denn die Geschichte endet nicht überraschend und
zwischendurch passiert wenig Interessantes, was man nicht vorhersehen
konnte.
Auch das Cover gefällt mir, wie anfangs bereits erwähnt, nicht. Mit David, der anstatt
seiner Kutte anscheinend einen stinknormalen Kapuzenpullover trägt, kann
ich ja noch leben, aber Juna ist schlecht getroffen. Eine Kriegerin mit
markanten Bemalungen sieht wohl kaum aus wie ein mit Glitzersteinchen
und gedrehten Löckchen leicht überstyltes Disco-Häschen!
Also,
mein Fazit: Ein neuer Dystopieroman, der mich auch aufgrund meiner Erwartungen an den Autor enttäuscht hat. Sprachlich durschnittlich, nicht besonders spannend, kaum romantisch und schon gar nicht
glaubwürdig. Weil es lesbar war, auch wenn ich die Handlung sehr
konstruiert fand, tendiere ich irgendwie doch zu zwei Sternen anstatt
nur einem, aber wer nicht wirklich ein Hardcore-Dystopie-Fan ist und
dafür bereit ist über viele - wirklich sehr, sehr viele -
Ungereimtheiten hinwegzusehen sollte die Finger von diesem Roman
lassen.
Hatte überlegt mir die Buchreihe zu kaufen, aber deine Rezi klingt nicht wirklich vielversprechend...werde es dann mal etwas weiter unten vergraben auf meiner Wuli. *hust*
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